Die Siggi11

Seit über 40 Jahren wird die Sigwartstraße 11 überwiegend von Studierenden bewohnt und durch das Amt für Vermögen und Bau Tübingen (VBA) verwaltet. Dabei beschränkt sich das Verwalten schon seit langem auf Miete kassieren, während sich die Substanz des Hauses im Verfall befindet.

Seit 2022 stehen mehrere Zimmer des Hauses leer, seit 2023 sogar der Großteil – statt der ursprünglich 12 werden inzwischen nur noch 3 Zimmer des Hauses vermietet. Auch die Verträge der verbleibenden Bewohner:innen laufen am 1. Oktober aus und werden nicht verlängert. Dann steht das Haus leer, einen klaren Plan zur weiteren Verwendung gibt es von Seiten des Landes bisher nicht.

Wir können und wollen nicht akzeptieren, dass Wohnraum zu Leerstand wird und kämpfen um die Sigwartstraße 11.


Forderungen des Bewohner:innen-Vereins der Sigwartstraße 11

Als Mieter:innen haben wir das Amt für Vermögen und Bau Tübingen (VBA) in den letzten Jahren nicht als gute Verwalterin von Wohnraum erlebt, ein Eindruck, der sich durch Gespräche mit ehemaligen Bewohner:innen des Hauses auch auf vorherige Jahre und Jahrzehnte ausweiten lässt. Eine Reihe von Versäumnissen und Fehlkommunikationen haben in uns das Gefühl aufkommen lassen, dass wir als Gruppe besser geeignet sind, die Sanierung und Verwaltung der Sigwartstraße 11 zu übernehmen. Mit diesem Wunsch haben wir uns bereits Anfang des Jahres an das VBA gewandt und tun dies nun nach den bereits erfolgten Gesprächen und der veränderten Situation erneut.


Als die verbliebenen Bewohner:innen des Hauses in der Sigwartstraße stellen wir folgende Forderungen an das VBA:
1. Kein Abriss und Erhalt von Wohnraum für Menschen in Ausbildung sowie einer Kaltmiete 30% unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete pro Quadratmeter
2. Verkauf oder Erbpacht an Bewohner:innen-Verein
3. Ergebnisoffener Prozess mit der Option, die Wünsche des Vereins fair umzusetzen
4. Transparenz über Pläne des VBA und der Stadt gegenüber Verein, Nachbarschaft und allgemeiner Öffentlichkeit
5. Offenlegung des Kaufpreises, der Mieteinnahmen, sowie der Ausgaben seit Besitz des Hauses
6. Überordnung von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit über Wirtschaftlichkeit

Presse Mitteilung vom 29.09.2024

Am vergangenen Sonntag wurden im Rahmen des Siggi11 Abschiedskaffees die beiden oberen Stockwerke der Sigwartstraße 11 besetzt. Das Haus, dass seit über 40 Jahren als studentischer Wohnraum genutzt wird, sollte nach Angaben des Landesbetriebs Vermögen und Bau Baden-Württemberg (VBA), der das Grundstück und das Haus für das Land verwaltet, ab dem 1. Oktober leerstehen. Erst danach sollte geprüft werden, ob möglicherweise eine neue Nutzung für das Haus gefunden werden kann. 

Auch eine FragDenStaat-Anfrage konnte bestätigen, dass das VBA Tübingen weder die Kapazitäten hat das Haus zu sanieren, noch Abriss und Neubau umzusetzen. Hinzu kommt ein aktuelles Neubaumoratorium in Baden-Württemberg, ein zeitnaher Neubau durch das Land muss also in jedem Fall als unwahrscheinlich angesehen werden. 

Aus diesem Grund hatte das VBA zuletzt auch versucht, das Haus im Rahmen einer Erbpacht-Regelung an eine dritte Trägerin abzugeben und so Renovierung und Verwaltung auszulagern. Sowohl das Universitätsklinikum Tübingen, also auch das Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim und die Universität selbst lehnten ein solches Arrangement jedoch ab. Auf ein entsprechendes Gesprächsangebot von Seiten des Vereins der letzten Bewohner*innen der Siggi11 wurde wiederum von Seiten des VBA nicht eingegangen.

Julian Petruck, einer der Vorstände des Vereines, sagt hierzu: „Wir verstehen nicht, warum das VBA nach den Absagen nicht auf eines unserer Gesprächsangebote eingegangen ist, obwohl wir konkret eine soziale Vermietung bei gleichzeitiger Renovierung und Erhaltung des Gebäudes in Aussicht gestellt haben.“

Unterstützung haben die Bewohner*innen bereits letzte Woche durch die Tübinger Studierendenschaft erhalten.

„Der Tübinger Wohnungsmarkt ist seit Jahren angespannt. Der drohende Leerstand von existierendem studentischen Wohnraum ist hierbei fatal. Auch der Studierendenrat hat sich daher am vergangenen Montag dazu entschieden, dass die Siggi11 als studentischer Wohnraum erhalten bleiben soll“ erklärt Julia Erdei, Referentin für Soziales der Verfassten Studierendenschaft Tübingen.

Dass die Wohnsituation in Tübingen angespannt ist, zeigt auch eine Regional-Analyse des Pestel-Instituts. Aktuell würden dem zufolge rund 1990 Wohnungen im Landkreis Tübingen fehlen. Dem entgegen stehen rund 3960 ungenutzte Wohnungen, wovon 2220 Wohnungen schon seit mindestens einem Jahr leerstehen. 

Während Wohnraum schon lange nicht mehr für alle verfügbar ist, ist die Situation bei bezahlbaren Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen noch deutlich kritischer – hierzu zählen de facto auch viele Studierende und Auszubildende. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat der Gemeinderat 2016 eine Zweckentfremdungsverbotssatzung erlassen. Ob die gegenwärtige Praxis der Nichtvermietung eines Großteils des Hauses von dieser Satzung gedeckt ist, wird von den Besetzer*innen bezweifelt.

Die Bewohner*innen der Erdgeschoss-Wohnung gehen rechtlich gegen das Auslaufen ihrer Mietverträge vor, die aus ihrer Sicht aufgrund der grundlosen Befristung nicht rechtens waren. Sie kritisieren den drohenden Leerstand des Gebäudes bereits seit längerem und solidarisieren sich mit der Besetzung.

Die Besetzung möchte auch auf die momentane Situation auf dem Wohnungsmarkt ausmerksam machen. Kritisiert werden die seit Jahren immer stärker steigenden Mietpreise und der immer krasser steigende Anteil am Gesamteinkommen, den Menschen für eine Unterkunft ausgeben müssen. Von staatlicher Seite wird dieser Entwicklung häufig teilnahmslos zugesehen. So verringert sich die Zahl der mietpreisgebundenen Sozialwohnungen in Deutschland seit Jahren kontinuiertlich. Radikalere Wege wie die Verstaatlichung großer Immobilienkonzerne, welche von der Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ verfolgt wird, werden systematisch ausgebremst und verzögert. Wichtig wäre ein Ausbau der Unterstützung und Förderung sozialer und nicht profitorientierter Akteure im Wohnungssektor. Zentrale Elemente wären die Aufstockung des Fördertopfes für soziale Wohnungsbau, die vorrangige Förderung von Gemeinwohl-Akteuren in der

Mietwohnraumförderung, sowie die  Ermöglichen von Landesbürgschaften für gemeinwohlorientierte Projekte. Diese Forderungen wurden zuletzt durch das „Netzwerk gemeinwohlorientiertes Bauen und Wohnen Baden-Württemberg“ an die Landespolitik herangetragen. 

Das VBA – Amt Tübingen agiert im Fall des Hauses in der Sigwartstraße 11 entgegen den selbst erklärten Zielen des Landes und der Stadt Tübingen. Ohne einen erkennbaren Plan für das Haus zu verfolgen, wurden in den letzten Jahren und Monaten systematisch Zimmer nicht vermietet und bestehende Mietverhältnisse mit teilweise fadenscheinigen Begründungen nicht weitergeführt. Die Besetzer*innen befürchten, dass in den nächsten Wochen Maßnahmen geplant waren, die eine weitere Bewohnbarkeit des Gebäudes erschweren oder sogar verhindern würden und der Leerstand so auf Jahre bestehen bleiben würde. 

„Wir verstehen nicht, dass pünktlich zum Semesterbeginn das VBA in Vertretung des Landes Baden Württemberg plant, zwölf zentral gelegene und bezahlbare Zimmer dem Tübinger Wohnungsmarkt zu entziehen. Dass ein staatlicher Akteur dieses ohne einen Folgeplan und in Missachtung des Tübinger Zweckentfremdungsverbots durchführt, ist Menschen die händeringend nach einem Zimmer suchen nicht vermittelbar.“ sagte die Besetzerin Paula Nohaus.

Die Besetzer*innen fordern vom Land einen Abriss des Gebäudes auszuschließen. Weiter fordern sie direkte Gespräche über einen Verkauf der Liegenschaft oder eine Überlassung des Grundstücks im Rahmen einer Erbpachtregelung an einen Bewohner*innen-Verein. Ihrer Meinung nach kann nur ein solcher Verein die zukünftige Vermietung der vorhandenen zwölf Zimmer zu sozialen und bezahlbaren Konditionen garantieren.

„Bezahlbarer und angemessener Wohnraum ist ein Grundrecht. Wohnraum darf nicht den Gesetzen des freien Marktes unterliegen. Dieser schafft es nicht, den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden. Die Mieten werden immer höher; Häuser, in denen früher gewohnt wurde, stehen heute als Spekulationsobjekt leer oder sind Ferienwohnungen. Dass es selbst ein Landesamt hier nicht schafft, Wohnraum zu erhalten, ist ein Skandal. Deswegen unterstützen wir einen Hauskauf im Rahmen des Mietshäuser-Syndikats. In Tübingen zeigen selbstverwaltete Wohnprojekte, dass es möglich ist, selbstverwaltet Wohnraum zu organisieren und dass Wohnen günstig sein kann, wenn keine Profite an Aktionäre ausgeschüttet werden müssen“, schließt Besetzerin Mira Evyok.


Das Land lässt für Sie leerstehen.

Verfall und Leerstand des studentischen Wohnraums in der Sigwartstrasse 11. Keine weitere Vermietung des Großteils der Zimmer. Kompletter Leerstand geplant ab Oktober.

Verwaltung

Vermögen und Bau Amt Tübingen(VBA) in Besitz seit 1981

Nutzung

Wohnraum für Studierenden

Wohnfläche und Kosten

293qm und ca 12 Euro pro qm3 Wohneinheiten, 12 Zimmer Leerstehend

Leerstehend

4 Zimmer seit 2022 8 Zimmer seit 2023 12 ab Oktober 2024 (geplant)

Planung

An der Immobilie zeigen weder das StuWe noch die Universität Interesse.Für eine Grundsanierung oder Neubau durch das VBA selbst, fehlt es an Kapazitäten.

Unser Ansatz

  • Leerstand vermeiden
  • bezahlbaren, sozialen Wohnraum erhalten
  • historisches Gebäude würdigen
  • Kollektiveigentum und Selbstverwaltung

Haus wurde 1981 durch das Land Baden-Württemberg gekauft und seitdem mit ein-Jahres-Verträgen an Studierende vermietet. Die Mieteinnahmen flossen allerdings nicht in den Erhalt des Hauses, sodass sich die Substanz mittlerweile im Verfall befindet. Das Interesse besteht vorrangig am Grundstück durch Angrenzung, zum Kupferbau und Parkplatz, nicht aber am Wohnraum.

Unser Anliegen ist es, diesen Wohnraum zu erhalten. Einen Leerstand können und werden wir nicht akzeptieren und auch keinen Neubau, der die Fläche versiegelt und die Mieten in die Höhe treibt. Die Sanierung des Hauses ist dringend notwendig, doch im Hinblick auf den Wohnungsmarkt in Tübingen, sollte ein Fokus darauf gelegt werden, die Mieten unterhalb des Ortsdurchschnitts zu halten und in zentraler Lage studentischen Wohnraum zum Erhalten.

Eine Selbstverwaltung der Immobilie durch die Bewohner:innen, ermöglicht uns die Freiheit über Sanierungsmaßnahmen zu entscheiden. Auch die Gestaltung des Grundstücks und des Wohnraums kann so ohne die Aufsicht eines Eigentümers, der uns rauswerfen könnte, selbstbestimmt passieren. Es ist unser Haus, in dem wir respektvoll zusammen leben und haushalten.